Christlich-Jüdisches in der Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche
Mittwoch, 26.11.2025 18:30
Uhr
Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche
Kapelle
In den Anfangsjahrzehnten standen immerhin zwei Pfarrer an dieser ansonsten deutschnational geprägten Kirche in partnerschaftlichem Dialog mit Vertretern des Judentums: Walther Nithack-Stahn sprach 1917 mit Hermann Cohen über die Frage "Was eint die Konfessionen?", und Immanuel Heyn bezeichnete 1913 in einem Vortrag über "Die Entwicklung und bleibende Bedeutung der jüdischen Religion" den Antisemitismus in Deutschland als "eine Schmach". Zuvor waren es sogar jüdische Bauherren gewesen, die Kaiser Wilhelm II. den Wunsch erfüllt hatten, der neoromanischen Gedächtniskirche zwei "Romanische Häuser" zur Seite zu stellen, und der Anteil jüdischer Menschen im Gemeindegebiet wurde 1910 auf 23 Prozent geschätzt. Aber als sich 1929 ein Mitglied der Gemeindevertretung offen antisemitisch gegen ein anderes Gremienmitglied äußerte, blieb dies bereits unwidersprochen.
Im April 1933 hielt Dietrich Bonhoeffer in der Pfarrwohnung von Gedächtniskirchenpfarrer Gerhard Jacobi seinen nachträglich berühmt gewordenen Vortrag "Die Kirche vor der Judenfrage", und im September 1933 fand hier die Gründungsversammlung des Pfarrernotbundes gegen die Einführung des Arierparagraphen in der Evangelischen Kirche statt. In der Folgezeit war es der einer jüdischen Familie entstammende Antiquar Hugo Streisand, der Jacobi, dem Berliner Präses der Bekennenden Kirche, bei der diskreten Verteilung von Unterlagen half, und seine Frau und seine Tochter gehörten zu den Hochaktiven in der hiesigen Bekenntnisgemeinde. Streisands Schwester Bianka aber, 1935 von Jacobi getauft, und viele andere Familienangehörige wurden weniger Jahre später in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern ermordet.
Doch wie ist es zu verstehen, dass selbst ein Jacobi, der auch persönlich antisemitische Angriffe erfahren musste, nach 1945 in der Gemeinde weder hierüber noch auch über die keine 500 Meter von der Gedächtniskirche entfernte, 1938 in der Pogromnacht niedergebrannte Synagoge in der Fasanenstraße gesprochen hat und über die pogromartigen SA-Ausschreitungen, die es schon 1927 und 1931 am Kurfürstendamm gegeben hatte? Oder dass Senats- und Kirchenvertreter 1958 noch ernsthaft erwägen konnten, Abbruchsteine von dieser Synagoge als Material zum Neubau der Kirche zu verwenden?
Darüber spricht Martin Germer, 2005-2022 Pfarrer der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, auf Grundlage seiner historischen Forschungen.
Eine Veranstaltung in Kooperation mit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische-Zusammenarbeit (GCJZ) e.V.