Antje Leuthold / Evangelische Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirchengemeinde Berlin
Eingang der Kapelle mit Vordach

Die Kapelle

Das Verborgene entdecken

Mila Hacke
Gebäudeensemble der Gedächtniskirche, Ansicht von Nordosten mit der Kapelle im Vordergrund

Die von Egon Eiermann entworfene und 1963 eingeweihte Kapelle befindet sich nordöstlich der Turmruine. Lediglich der vordere Gebäudeteil steht auf dem Podium, der Rest direkt auf dem Breitscheidplatz. Den rechteckigen Bau überschaubarer Größe betritt man durch den einzigen Eingang an der Westwand, der durch ein langes Vordach und ein sich darunter erstreckendes, leicht erhobenes Bodenmosaik markiert ist. Aus anderen Richtungen erblickt man die Betonwaben, die mit Dickglas ausgestattet und in ein Stahlskelett eingefasst sind. Durch die Plastizität und den einheitlichen Rhythmus der Wandelemente wirkt die Kapelle geschlossen. Durch ihre Maße und Position zieht sie zwangsläufig weniger Aufmerksamkeit auf sich als die weitaus präsenteren und bekannteren Gebäude des Ensembles. Doch hinter der Fassade birgt sich eine sorgfältig gestaltete räumliche Welt, die einen besonderen Erfahrungshorizont erschafft.

Sebastian Rost
Innenansicht der Kapelle Richtung Altar

Die Kapelle ist ein klar gegliederter Raum, dessen zentrale Achse beiderseits von Stuhlreihen umgeben ist und zum Altar führt. Man erkennt viele Gestaltungselemente, die auch in der Kirche Verwendung fanden. Doch der Raum als Ganzes ist von seinem Aufbau und Charakter her wesentlich anders. Im Unterschied zum dunklen, tiefblauen Kirchenraum, ist die Kapelle lichtdurchflutet und von Leichtigkeit geprägt. Das liegt in erster Linie an ihrer Bauweise. Wie die Kirche ist auch die Kapelle doppelwandig gebaut, allerdings auf eine deutlich andere Art und Weise. Lediglich die Außenwand besteht aus Betonwaben und Dickglas. Die Innenwand hingegen aus fast deckenhohen, ganz durchsichtigen Glasflächen, die in ein Stahlskelett eingefasst sind. Der Umgang zwischen den beiden Wänden ist zudem nach oben hin offen, was für Einfall von Tageslicht sorgt. Die Lichtverhältnisse im klarverglasten Innenraum können durch schwarze Vorhänge moduliert werden.

Sebastian Rost
Innenansicht der Kapelle Richtung Orgel

Die Einrichtung der Kapelle trägt die Handschrift des Architekten Egon Eiermann und ist durch eine schlichte, klare Formensprache gekennzeichnet. Die Kapelle ist mit den gleichen von Eiermann gestalteten Stühlen wie die Kirche ausgestattet, dem Gurtenstuhl SE 121. Das von Eiermann entworfene Bodenmosaik ist eine Variation des Grundmusters aus verschiedenfarbigen, kreisrunden Formen, das als verbindendes Element auch auf dem Bodenbelag des Podiums und der Kirche die jeweils eigene Gestalt annimmt. Das Bodenmosaik der Kapelle unterscheidet sich durch die einheitliche Größe der klein gehaltenen kreisrunden Platten und deren vorherrschend warme Farbtöne, was zu dem intimen Raumcharakter beiträgt. Die kleine Orgel auf der von Eiermann gestalteten Empore aus Holz im vorderen Teil des Innenraums wurde wie die Orgel in der Kirche von der Berliner Orgelbauwerkstatt Karl Schuke gefertigt.

Sebastian Rost
Innenansicht der Kapelle mit der Taufschale und dem Altar im Vordergrund

Auch den Altarbereich hat Eiermann gestaltet: den Alar, die kleine Taufschale und den Lesepult. Sie sind deutlich schlichter und minimalistischer konzipiert als ihre Pendants in der Kirche. Auf dem Altar steht eine in Form des Triptychons gefasste Bleistiftzeichnung des Gekreuzigten von Ernst Barlach mit dem Kriegsdatum 15. Mai 1915.

Max Cramer
Der begrünte Umgang der Kapelle mit Fragmenten des eingerüsteten Glockenturms
und der Turmruine im Hintergrund

Der Umgang zwischen den beiden Wänden ist begrünt und mit kreisrunden Trittsteinen ausgestattet. Als Vorbild diente der japanische Garten mit Schrittsteinen. Ursprünglich sollte er noch mit Wasser gefüllt werden, was durch hohen technischen Aufwand unverwirklicht blieb.

Die 1.456 Betonglasfenster der Außenwand wurden von Gabriel Loire gestaltet und in Chartres hergestellt. Im Unterscheid zu den größtenteils blaufarbigen Fenstern der Kirche sind die Gläser hier überwiegend weiß, mit gelben, grünen, leuchtend roten oder blauen Einsprengseln. Die Fenster sind mit einem Gitter aus Holz gerahmt, das einen weiteren Rückgriff auf die traditionelle japanische Baukunst darstellt. Es handelt sich um eine gestalterische Neuinterpretation der Shoji-Wände, der mit lichtdurchlässigem Papier bespannten, gerasterten Holzgerüste, die unter anderem zum Sichtschutz verwendet werden. Im Umgang verstärkt das Holz den intimen Raumcharakter.

Max Cramer
Der begrünte Umgang der Kapelle: vorne rechts die Glaswand des Kernbaus,
im Hintergrund die farbigen Dickglasfenster der Außenwand

Die Doppelwand der Kapelle hat sowohl eine Schutz- als auch eine Verbindungsfunktion. Durch akustische und optische Abgrenzung nach außen fungiert die Kapelle als intimer Ort der Stille und des Rückzugs. Durch Einfall von Tageslicht und direkten Blickkontakt zu den Fragmenten der Umgebung, die durch den nach oben hin offenen Umgang sichtbar sind, wird zugleich eine diskrete, aber immer präsente Verbindung zur Außenwelt hergestellt.

Die Kapelle wurde und wird vielfältig genutzt. Neben kleineren Gottesdiensten wie aktuell den Kindergottesdiensten, finden hier diskursive Formate statt. Zu nennen sind theologische Bildungsangebote wie die Bibelgespräche sowie Gesprächsreihen wie das Podium zur Erinnerungskultur und die Kapellengespräche zu wechselnden Themen aus Kirche und Gesellschaft. Seit Jahrzehnten probt hier auch der hauseigene Bach-Chor für die Bach-Kantate-Gottesdienste, die zweiwöchentlich in der Kirche stattfinden. Jeden ersten Sonntag im Monat wird zum Kirchencafé ab 11 Uhr in die Kapelle eingeladen.

Die Kapelle hat derzeit keine regulären Öffnungszeiten. Um den Raum zu erfahren, laden wir Sie herzlich zu den Veranstaltungen in der Kapelle ein.