Michael Kammann
Gesamtansicht der Gedenkhalle Richtung Süden mit Blick auf die Mosaike aus der Zeit um 1900, die sichtbare Spuren der Kriegszerstörung aufweisen

Gedenkhalle in der Turmruine

Von glorifizierender nationaler Selbstdarstellung hin zum integrativen Erinnern

Von der Alten Kirche erhalten und heute für Besucher:innen zugänglich ist lediglich die Turmruine mit der Gedenkhalle. Die Gedenkhalle zieht mit ihren wunderschönen erhaltenen Mosaiken heute zahlreiche Besucher:innen an.

Schon der Name der Kirche verweist auf die ursprüngliche Intention der Alten Kirche, von der heute noch die Ruine zeugt. Dem „Andenken des Hochseligen Kaiser Wilhelm I.“ ist die Kirche geweiht. Die Grundsteinlegung fand am Geburtstag des verstorbenen Kaisers statt und die Einweihung am 25. Jahrestag der Sedansschlacht. Eine Erinnerung an den Höhepunkt des militärisch-politischen Geschehens und Wirkens von Wilhelm I., der ansonsten eher als Selbst-Inszenierer und weniger als Inbegriff eines Herrschers, der das Wohl der anderen im Blick hatte, in die Geschichtsbücher einging.

Die ursprüngliche Eingangshalle in die kaiserzeitliche Kirche war seinerzeit bereits als „Gedächtnißhalle“ konzipiert. Heute noch sind die kostbaren Mosaiken und Marmorreliefs enthalten, wenn auch mit sichtbaren Rissen, die auch als Brüchigkeit dieser monumentalen Sicht gedeutet werden können.

Katharina Dorn / publicon Berlin
Detailansicht des Mosaiks an der Westwand der Gedenkhalle direkt über dem Eingang:
zwei Engel tragen eine Gedenktafel für Kaiser Wilhelm I.

Das Bildprogramm in der Halle zeigt vornehmlich entsprechend der Intention als „Gedächtnißhalle“ Szenen aus dem Leben Wilhelms I. oder der Hohenzollernfamilie, verwoben mit biblischen und christentumsgeschichtlichen Szenen. So traten die Besucher:innen einst unter einer Darstellung der Pieta in das Kirchenschiff ein (heute: die östliche Ausgangstür aus der Halle). Am Deckengewölbe thront der Pantokrator, also der Weltenherrscher Christus. Aber der Blick der eintretenden Person fiel damals und fällt heute sofort auf den sogenannten doppelten „Hohenzollernzug“, der von beiden Seiten den ursprünglichen Eingang in die Kirche säumt und Personen der Hohenzollernfamilie beim Empfang des Abendmahls zeigt. Die einstige „Gedächtnißhalle“ hatte den Anspruch, das Leben Wilhelms I. zu sakralisieren und eine besondere Verbindung von evangelischem Glauben und der Dynastie der Hohenzollern zu inszenieren.

Einzig diese „Gedächtnißhalle“, der ehemalige Westturm, und die hier angebrachten Mosaiken überstanden die Zerstörung des Kriegs und mussten nicht aus Sicherheitsgründen abgetragen werden – mit sichtbaren Narben, in der Architektonik und den Bildern. Nach dem Krieg und dem integrierenden Neubau Eiermanns stand dieser Turm ungenutzt mitten im Zentrum des Kirchen-Ensembles. Vandalismus-Vorfälle ließen den Turm irgendwann mit Gittern verschließen. Erst am 7. Januar 1987 wurde die Eingangshalle im Turm wieder eröffnet. Als „Gedenkhalle“ fungiert sie seitdem als Ausstellungsort zur Geschichte der Kirche und ihrer Bedeutung als Mahnmal für Frieden und Versöhnung. Die Verleihung des Nagelkreuzes durch die internationale Versöhnungsgemeinschaft von Coventry betont die Arbeit zur Versöhnung. Und das ein Jahr später übergebene Ikonenkreuz der Russisch-orthodoxen Kirche ruft gerade in Zeiten, in denen Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, eindrücklich an den Auftrag zum Frieden auf.

Sebastian Rost
Detailansicht der Gedenkhalle mit Blick auf den südlichen Bereich mit der Christus-Statue aus
der alten Kirche und zwei Kreuzen: links das Ikonenkreuz aus Volgograd (ehem. Stalingrad),
rechts das Nagelkreuz von Coventry

Wessen wird hier eigentlich gedacht?

Es mutet schon paradox an, dass ausgerechnet die namensgebende und bereits im Ursprungsbau solitär als Gedächtnisort errichtete Eingangshalle den Krieg überlebt hat. Vom einstigen sakralen Ort ist der säkulare, politische Ort stehen geblieben. Er ist in das Zentrum eines neuen sakralen Ortes integriert worden und hat dort selbst jahrelang seinen Ort gesucht.

Während in seiner ursprünglichen Intention hier der Preußenfamilie gedacht werden sollte, hat sich das Objekt des Gedenkens mit dem Fortlauf der Geschichte gewandelt. Umso wichtiger ist nicht nur der Erhalt dieses monumentalen Überrestes mit seinen kunsthistorischen Zeugnissen, sondern auch der Name der Kirche. Der Name der Kirche hat irritierendes Potential und darin wieder erinnerungspolitische Bedeutung. Name und Gedenkhalle mit ihren schmuckvollen Mosaiken erinnern an die Schichten, die vor dem Zweiten Weltkrieg existierten und damit auch zum Gewordensein der Kollektiven Identität gehören.

Darauf schichten sich die jüngeren Zeugnisse. Sie affizieren direkter, fordern die Besucherin zu einer inneren Haltung heraus, der sie sich nicht entziehen kann. Als ‚Narben‘ evozieren sie Gefühle wie Schrecken, aber auch Scham und empfundene Schuld, oder Erinnerungen an Familien-Traumata und Trauer. Die Narben der Zerstörung erinnern an die menschengemachte Vernichtungskraft im Zweiten Weltkrieg und sie zeugen von den Versuchen und Chancen von Versöhnung, Frieden und Integration. Die Singularität des Holocaustes wie auch der Zweite Weltkrieg fordert jeden zu einer Haltung heraus. Das gehört zur kulturellen DNA der Identität der Menschen, die in Deutschland geboren werden, die durch familiäre Wurzeln mit der Geschichte der 30er und 40er Jahre untrennbar verbunden sind. Die Mauern der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche zeugen sichtbar von der nicht revidierbaren Zerstörung, und sie erinnern an das Ringen um politische und theologische Positionierung innerhalb der Geschichte. Der Eiermann-Bau überführt die sichtbare Zerstörung, den epochalen Einschnitt, den der Alte Turm bleibend als Mahnmal erinnert, in die Kraft der Versöhnung und Integration.

Doch auch im 21. Jh. lagern sich hier weitere Schichten der Geschichte an. Wenn das Fundament des Podiums, auf dem das Gebäude-Ensemble steht, von einem heute vergoldeten Riss durchzogen ist, und wenn auf dem Podium Fotos und Namen von Menschen stehen, immer wieder umsäumt von Blumen und Kerzen, erinnert dies an den Hass und das islamistisch motivierte Attentat von 2016 auf dem Weihnachtsmarkt. Diese Schicht unterscheidet sich von den anderen in ihrer kurzen geschichtlichen Distanz. Die Menschen, die 2016 miterlebt haben, wirken heute noch auf dem Breitscheidplatz und seiner Umgebung. Hier hat sich ein mit den Gefühlen des Schreckens, der Angst, der Trauer verbundene Erinnerung eingestellt, die selbst noch im Werden begriffen ist.

Der Text ist ein Auszug aus einem Essay von Dr. Sarah-Magdalena Kingreen.

Die Ausstellung in der Turmruine wird aktuell neu konzipiert und in die Turmruine erweitert. Mehr dazu hier.