Mila Hacke
Nachtansicht der Kirche mit Blick auf den Haupteingang und die leuchtende blaue Glaswand

Die Kirche

Ein Ort der Stille mitten in der Stadt

Oktogon aus Beton, Stahl und Glas

Max Cramer
Außenansicht der Kirche von Norden

Die von Egon Eiermann entworfene Kirche aus Stahl, Beton und Glas steht westlich der Turmruine und nimmt praktisch den ganzen westlichen Bereich des Podiums ein. Das achteckige Kirchengebäude mit einer Höhe von ca. 20 m und einem Durchmesser von 35 m ist in einer Skelettbauweise ausgeführt. Ein Skelett aus Stahl bildet das konstruktive Gerüst. An jeder Ecke des Oktogons erheben sich runde Stahlsäulen, die durch ein Raster aus horizontalen und vertikalen Stahlbändern miteinander verbunden sind. In dieses stählerne Gitterwerk wurden quadratische Betonwabenfelder eingefügt, die das Erscheinungsbild deutlich prägen. Im unteren Teil der Fassade zwischen dem Boden und dem Stahlband oberhalb der Eingänge sind die Waben zugemauert. Im oberen, bei weitem größeren Teil der Wand, der sich bis zur Dachebene erhebt, sind die Betonwaben mit Fenstern aus Dickglas ausgestattet.

Im Gegensatz zur ursprünglichen, kaiserzeitlichen Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, deren Konstruktion mit einer historisierenden Schmuckfassade verkleidet war, machte Eiermann die konstruktiv-materielle Verfasstheit seiner Architektur sichtbar. Dies hat zur Folge, dass sich hier die Dichotomie zwischen Fassade und Konstruktion weitgehend auflöst.

Zugleich verrät die Fassade allerdings nicht alles über die Bauweise. Denn das Kirchenoktogon weist eine konstruktive Besonderheit auf, die den allermeisten Besucher:innen auch im Inneren, wo sie nachvollzogen werden kann, nicht auffällt, nämlich die doppelwandige Bauweise der Kirche. Über die außergewöhnliche Doppelwand der Gedächtniskirche können Sie weiter unten mehr erfahren.

Bitte betreten!

Mila Hacke
Außenansicht der Kirche mit Blick auf den Haupteingang
und die Fassade mit teilweise leuchtendem blauem Glas

Die Kirche ist von Beginn an dem Leitbild einer offenen Kirche verpflichtet. Tagtäglich lädt sie von morgens bis abends zur Besichtigung, zur persönlichen Andacht oder einfach zum Innehalten ein. Dazu kommen die Andachten, die unter der Woche regelmäßig stattfinden, die facettenreichen Gottesdienste am Wochenende, die vielfältigen Konzerte.

Der Haupteingang der Kirche befindet sich an der östlichen Wand, gegenüber der Turmruine. Der Eingangsbereich ist überdacht von einem aufwärts strebenden Vordach aus Stahl, das in Blickrichtung der Turmruine herausragt und Schutz vor Sonne oder Regen bietet. Durch seine markante Plastizität hebt das Vordach nicht nur den Haupteingang visuell hervor, sondern umreißt auch eine Art äußeren Vorraum zur Kirche, der sich in flüchtigen Momenten des Anhaltens konstituiert.

Entree

Gerald Zabel
Entree der Kirche, Ansicht Richtung Kirchenraum und Altar

Beim Betreten des Kirchenoktogons gelangt man zunächst ins Entree, einen 33,2 m² großen Vorraum zum eigentlichen Kirchenraum. Seine gegenwärtige Gestalt nahm das Entree im Rahmen einer Neugestaltung anlässlich des 60. Kirchweihjubiläums im Dezember 2021 an. Zu sehen sind zwei von Egon Eiermann gestaltete, kobaltblaue, 1,40 m große Vasen aus Majolika, die nach langer Zeit wieder öffentlich gezeigt werden. Dahinter steht beiderseits jeweils ein multifunktionales, im Rahmen der Neugestaltung speziell angefertigtes Möbelstück. Hier wird das Informationsmaterial wie beispielsweise der Gemeindeflyer oder die KWG Zeitschrift präsentiert. Eine Infotafel ordnet das historische Ensemble ein. An einem Automaten kann für den Erhalt der blauen Fenster und andere akute Maßnahmen gespendet werden. Das abgedunkelte Entree ist auch ein Ort des Übergangs zwischen großstädtischem Alltag und dem Kirchenraum als außergewöhnlichem, von Stille geprägtem Erfahrungsraum.

Kirchenraum

Sebastian Rost
Neue Kirche, Innenansicht mit Blick Richtung Altar und Christus, 2019 (überarbeitet, Web)

Der achteckige Kirchenraum mit einem Durchmesser von 35 m ist entlang der Hauptachse organisiert, die zwischen dem beidseitig gestellten Gestühl hin zum Altar und dem goldfarbenen Christus verläuft. Auf allen Seiten hüllen die tiefblauen Glaswände die Besucher:innen ein und prägen deutlich die Raumerfahrung. Die Einrichtung des Kirchenraums war Gegenstand einer Gesamtkonzeption des Architekten Egon Eiermann.

Bodenmosaik und Gestühl

Annette Bresinsky
Detailansicht des Kirchenraums mit Blick auf das Bodenmosaik und die Stühle

Unter den Füßen der Besucher:innen setzt sich der Außenraum im Innenraum visuell fort. Die Bodengestaltung im Kirchenraum bildet eine Variation des Grundmusters aus kreisrunden Platten, das auch auf der gesamten Podiumsfläche sowie auf dem Boden der Kapelle die jeweils eigene Gestalt annimmt und dadurch das Innen und das Außen des Gebäudeensembles miteinander verbindet. Das Bodenmosaik der Kirche besteht aus kreisrunden, größtenteils glasierten Keramikplatten verschiedener Größen und Farben (Blautöne, Türkis, Weiß, Terrakotta, Grau) sowie aus kreisrunden Betonplatten. Während die Keramikplatten durch ihre Farbigkeit und Vielfältigkeit eine optisch bewegte Wirkung entfalten, sorgen die Betonplatten für eine erdende Verankerung des fließend wirkenden Bodenmosaiks.

Die restlichen Einrichtungselemente Eiermanns sind gekennzeichnet durch deutliche formale Zurückhaltung. Auf Vorschlag Eiermanns wurde der Kirchenraum nicht mit Bänken, sondern mit einzelnen Stühlen ausgestattet. Für die Gedächtniskirche entwarf Eiermann den Gurtenstuhl SE 121, der ab 1962 in Serie produziert wurde. Der Stuhl besteht aus einem Holzrahmen, der im Bereich des Sitzes und der Rückenlehne mit schwarzen Gurten bespannt und mit schwarzen Lederpolstern ausgestattet ist. Rechteckige und quadratische Fragmente der Gurte sind am Holzrahmen aus allen Blickrichtungen sichtbar. Der Rhythmus aus den Gurtenfragmenten und dem Holz bildet ein prägendes formales Muster.

Altarbereich

Patrick Voigt
Detailansicht des Kirchenraums mit Blick auf den Altarbereich und den Christus

Von Eiermann stammen der Altar, die Taufschale und die Kanzel. Der Altar aus Holz und Stahl ist ausgestattet mit 12 ebenso von Eiermann gestalteten Kerzenleuchtern, die an die 12 Stämme Israels, an die 12 Jünger Jesu und auch an die 12 Tore des himmlischen Jerusalems erinnern. Das Altarkreuz vom Goldschmiedemeister Peter Tauchnitz besteht aus vergoldetem Silber und ist mit 37 Bergkristallen besetzt. Links neben dem Altar steht die Taufschale aus Aluminium, die auf den Seilen einer kreuzförmigen Stahlkonstruktion ruht. In der Taufschale liegen Marmorkiesel sowie eine kleinere Schale aus Majolika, die das Taufwasser aufnimmt. Rechts vom Altar steht die achteckige Kanzel aus Stahl.

Ursprünglich sollte Eiermann auch noch den prominentesten Blickpunkt des Kirchenraums bestimmen, den über dem Altar. Bei der Einweihung der Kirche und in den Monaten danach hing über dem Altar ein von Eiermann provisorisch fertiggestelltes, filigranes Kreuz aus schwarzem Stahlrohr, das keine figürliche Darstellung enthielt. Das Kreuz sollte unter Eiermanns künstlerischer Leitung z.T. unter Einsatz von figürlichen Elementen weiterentwickelt werden, dabei jedoch in seiner Grundstruktur weiterhin ein Kreuz bleiben.

saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau
Detailansicht des Kirchenraums mit Blick auf den Altarbereich und das
von Eiermann gestaltete Kreuz über dem Altar, 1961

Eine Mehrheit der kirchlichen Entscheidungsträger, einschließlich des damaligen Bischofs Otto Dibelius, bevorzugte ein Kruzifix. Eiermann sprach sich dagegen aus und führte nicht nur ästhetische, sondern auch theologische und kulturhistorische Gegenargumente an. Eine wichtige Rolle spielte sein Verständnis des protestantischen Kirchenraums als eines Ortes, an dem das Wort und nicht das Bild im Zentrum steht und erst recht nicht ein Bild, das nach dem Grauen des Krieges das körperliche Leid in Szene setzt. Bald wurde gegen den Willen Eiermanns der Münchener Bildhauer Karl Hemmeter (1904-1986) mit einer neuen, dezidiert figürlichen Lösung für die Plastik über dem Altar beauftragt. Geprägt durch einen angespannten Austauschprozess mit Eiermann zu Fragen der Gestaltung und der Darstellung schuf Hemmeter eine Christus-Statue, die vom Bischof Dibelius gestiftet wurde und im Oktober 1962 das Eiermann-Kreuz ersetzte.

Christus

Patrick Voigt
Detailansicht des Kirchenraums mit Blick auf den Altar und den Christus

Der von Hemmeter gestaltete Christus ist 4.60 m groß und wiegt ca. 300 kg. Die Statue ist eine Treibarbeit aus Tombak, einer Messingart mit erhöhtem Kupfergehalt. Der Christus trägt ein langes Gewand, das auch die ausgebreiteten Arme bedeckt. Die Hände und Füße weisen Wundmale auf. Die Figur ist in abstrahierender Sprache ausgeführt und greift dadurch die geometrische Zurückhaltung der Raumgestaltung auf. Die Körperstellung erinnert an eine Kreuzform. Der Christus hängt jedoch nicht am Kreuz, wie es ursprünglich geplant war. Durch den Einsatz Eiermanns entfiel das Kreuz hinter dem Christus. Das scheinbare Schweben der Figur ist ein Verweis auf die Auferstehung Christi. Tatsächlich ist die Statue an zwei dünnen Seilen aus Stahl, die von der Decke hängen, befestigt. Mit seinen Händen macht der auferstehende Christus zugleich eine segnende Geste. Durch den heruntergezogenen Mundwinkel und die geschlossenen Augen entfaltet das Gesicht Christi für viele Besucher:innen eine berührende Wirkung.

 

Orgel und Gedenkbereich

Michael Kammann
Kirchenraum mit Blick Richtung Orgel

In Blickrichtung des Ein- bzw. Ausgangs treten zwei Elemente in Erscheinung: 

In der Hauptaxis erhebt sich die von der Berliner Orgelbauwerkstatt Karl Schuke erbaute und von Eiermann mitgestaltete Orgel mit der Orgelempore. Hier erfahren Sie mehr.

Links von der Orgel unterhalb der blauen Fenster hängen zwei Gedenkobjekte: eine großformatige Gedenktafel für evangelische Opfer der NS-Zeit aus dem Jahr 1964, die an einem mittelalterlichen Kruzifixus zu erkennen ist und die Madonna von Stalingrad, eine Zeichung des deutschen Pfarrers, Theologen und Arztes Kurt Reuber, die zu Weihnachten 1942 während seines Kriegseinsatzes für die Wehrmacht im eingekesselten Stalingrad entstanden ist. Mehr über die Gedenkobjeke erfahren Sie hier.

Blaues Glas

Gerald Zabel
Detailansicht der Betonglasfenster der Kirche

Die tiefblauen Glasfenster sind ein wesentliches Element des Kirchenraums. Sie hüllen die Besucher:innen auf allen Seiten ein und schaffen eine Atmosphäre, welche die Außenwelt weit entfernt erscheinen lässt. Für viele Besucher:innen entsteht hier ein meditativer, Ruhe ausstrahlender, nach innen gerichteter Erfahrungsraum.

Die Wand des Kirchenraums besteht aus einem rasterförmigen Stahlskelett mit eingesetzten rechteckigen Betonwabenfeldern. Jedes Betonwabenfeld enthält 56 Fenster, insgesamt sind es 11.182. Die jeweils 24,6 x 26,4 cm großen und 2 cm dicken Fenster sind in der Technik "Dalle de verre" ausgeführt. Dabei werden Platten aus farbigem Dickglas in kleinere Stücke zurechtgeschlagen, die dann mit Beton verfugt und zu einzelnen Fenstern zusammengesetzt werden. Die Betonglasfenster wurden vom französischen Glaskünstler Gabriel Loire (1904-1996) gestaltet. Die aufwändige Fertigung erfolgte 1960 und 1961 in Loires Werkstatt in Chartres. Schließlich wurden die Fenster in die Betonwaben der Gedächtniskirche eingesetzt.

saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau
Anfertigung der Betonglasfenster der Gedächtniskirche im Atelier Gabriel Loires in Chartres

Jedes einzelne Fenster im Kirchenraum besteht aus unregelmäßig geformten, scherbenartig anmutenden, mit Beton verfugten Glasstücken. Die Fenster sind abstrakt gestaltet und enthalten keine Darstellungen. Blau ist die Grundfarbe, ergänzt durch verschiedene Rot-, Gelb- und Grüntöne. Die im Glas wahrnehmbaren Verdichtungen sorgen für eine Vervielfältigung von Lichtbrechungen und dadurch ein intensiveres Spiel von Licht und Farben. Durch die unerschöpfliche Vielzahl an Kombinationen von Formen, Farben und Tönen gibt es keine zwei Fenster, die identisch gestaltet sind: es sind allesamt Unikate.

Max Cramer
Detailsansicht eines Betonglasfensters im Kirchenraum
Max Cramer
Detailsansicht eines Betonglasfensters im Kirchenraum

Chartres war nicht nur der Produktionsort der Fenster, sondern auch eine Inspirationsquelle. Während des Entwurfsprozesses verbrachte Gabriel Loire viele Stunden in der Kathedrale von Chartres, um die Farb- und Lichtwirkung der dortigen mittelalterlichen Glasmalerei, die für ihr "mystisches" Blau berühmt ist, zu studieren. In der mittelalterlichen Bildkunst war Tiefblau die Farbe des Göttlichen, des Himmels. In der Gedächtniskirche kommen weitere Deutungs- und Bedeutungsschichten hinzu. Für Loire was Blau die Farbe des Friedens. Himmel und Frieden: ein blauer, himmlisch anmutender Kirchenraum, der durch die prominente Mitwirkung eines französischen Gestalters auch im Zeichen von Frieden, (deutsch-französischer) Versöhnung und internationaler Zusammenarbeit steht.

Geheimnisvolle Doppelwand

Johannes Hofmann / Evangelische Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirchengemeinde Berlin
Umgang zwischen der Außen- und der Innenwand der Kirche

Die Gedächtniskirche ist doppelwandig gebaut. Das Kirchenoktogon besteht aus zwei Wänden aus Stahl, Beton und Glas, zwischen denen sich ein 2,40 Meter breiter Umgang befindet. Das heißt: Die Wand, die man von außen sieht, ist nicht dieselbe, auf die man im Kirchenraum mit seinen über 11.182 Fenstern schaut. Die Betonwaben der Außenwand enthalten noch zusätzliche 5.000 von Gabriel Loire gestaltete, farbige Betonglasfenster. Die ganze Kirche enthält daher über 16.000 Fenster, die insgesamt mehr als 67 Tonnen wiegen. Das Tageslicht, das in den Kichenraum einfällt, wird durch insgesamt ca. 4 cm farbiges Dickglas gefiltert. 

Die Fenster der Außenwand sind mit ihren 35,7 x 34,7 cm nicht nur größer als die Fenster der Innenwand. Auch deren Farbgebung ist unterschiedlich. Die Außenwand erscheint bei Tageslicht kaum farbig, die Innenwand ja tiefblau. Dies hängt allerdings mit dem Zusammenspiel von Farbe, Licht und Glas im Kontext der Doppelwandigkeit zusammen, nicht mit der Farbe der Gläser an sich. Denn tatsächlich sind es die Gläser der Außenwand, die von einem tiefen Blau geprägt sind, die der Innenwand hingegen von einem deutlich helleren Blau. Das Tiefblau, das den Kirchenraum bei Tageslicht einhüllt, kommt im Wesentlichen von den Gläsern der Außenwand.

Johannes Hofmann / Evangelische Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirchengemeinde Berlin
Blick auf die Außenwand aus dem Umgang der Kirche

Die Doppelwand war in erster Linie als Schallschutz gedacht und sollte dafür sorgen, dass die aus Glas gebaute Kirche trotz ihrer zentralen städtischen Lage als Ort der Stille funktioniert. Bei Einbruch der Dunkelheit wendet sich das Kirchenoktogon bereits seit den frühen 1960er Jahren auf eine besondere Weise der Stadt zu. Die entsprechende Infrastruktur birgt sich im Umgang der Kirche. Dort sind Leuchtkörper angebracht - ursprünglich Lichtstrahler, seit Mitte der 2010er Jahre zahlreiche kleine LEDs, die bei Dämmerung eingeschaltet werden. Das Ergebnis ist ein abendliches Leuchten der Kirche in farbigen, maßgeblich blauen Tönen in den Stadtraum hinein.

Bei unseren Führungen besteht die Möglichkeit, den Umgang zwischen den Glaswänden hautnah zu erleben.